Lustigerweise habe ich zum Thema Fahrerablenkung durch Infotainmentbedienung meine Bachelorarbeit verfasst (war damals, als das Model 3 angeteasert wurde).
Dazu gab es auch eine kleine Studie mit verschiedenen Interfaceelementen und dem evtl. bekannten Lane Change Task.
Heraus kam u.a.:
- Sobald man den Arm ausstrecken muss bzw. keine Handauflage hat, ist ein Touchscreen während der Fahrt deutlich ablenkender als alles, was eine dreidimensionale Oberfläche hat - selbst wenn man dabei noch auf einen Bildschirm gucken muss. Das liegt daran, dass man durch die G-Kräfte im Fahrzeug nicht mehr ohne höhere Konzentration trifft, was man treffen will und auch kein/kaum Feedback hat.
- Selbst mit Auflage bzw. in der Sitzkiste waren Drehsteller mit Monitor dem reinen Touchscreen überlegen.
- Die Bedienung am Touchscreen war nicht schneller als mit 3D-ausgeformten Bedienelementen, es ließen sich aber natürlich auf derselben Oberfläche mehr Funktionen umsetzen.
- Wenn der Touchscreen ein Feedback gab, ob getroffen wurde was man treffen wollte, nahm die Ablenkung leicht ab (z.B. Töne oder Vibration).
- Sprachsteuerung lenkt nach Stand der Technik noch sehr ab (kognitive Ablenkung, weil man eben mit einer dummen Maschine spricht - aber selbst die Diskussion mit der cleveren Beifahrerin lenkt schon ordentlich ab).
Darüber hinaus wurde eine überschlägige Formel verschiedener Ablenkungseinflüsse aufgestellt. Kurz zusammengefasst:
- Je weniger weit man von der Straße weggucken muss (also je höher und weiter links ein Monitor liegt), desto besser.
- Je weniger weit man die Hand bewegen muss (entweder vom Lenkrad weg oder aus der "Ruheposition" in der Umgebung des Schaltknüppels), desto besser.
- Je weniger Aktionen nötig sind, um etwas zu bedienen, desto besser.
- Je kürzer die Bedienzeit, desto besser.
- Ergänzend: Je unpräziser die Aktion sein darf, um etwas zu bedienen (Wischen ist besser als Tippen auf einer kleinen Fläche), desto besser.
Daraus kann man sich jetzt selbst das "ideale Interface" zusammenbasteln. Das ist aber für Jedermann etwas anders weil:
- Häufig genutzte Funktionen müssen entweder direkt im Sichtfeld positioniert werden oder blind bedienbar sein.
- Woher weiß ich, was die häufigst genutzte Funktion je Nutzer ist?
- Habe ich nicht ein Problem, wenn selten genutzte Funktionen (Warnblinker, wenn er nicht gesetzlich geregelt wäre) irgendwo (im schlimmsten Fall in Untermenüs) versteckt sind?
In diesem Sinne ist das gar nicht so leicht - sonst gäbe es das ja hoffentlich bereits.
Mazda macht in meinen Augen was die Fahrerablenkung angeht vieles richtig. Der Monitor zeigt die wichtigsten Sachen an und wird nahezu blind durch Dreh-Drücksteller bedient.
Außer den Untermenüs gibt's fast keine Ebenen, durch die man sich klicken muss. Die Musiksteuerung ist am Lenkrad.
Auch Mercedes macht inzwischen einiges gut: Viele verschiedene Bedienmöglichkeiten, sodass jeder seine am wenigsten ablenkende Methode wählen kann. Dazu haptisches und akustisches Feedback bei der Bedienung und die Möglichkeit nur die Lenkradtasten zu verwenden.
Dafür leider viele kleine "Taster", die man am Touchscreen schwer trifft und seeehr viel Content mit einigen Untermenüs (sobald man mehr als die Shortcuts nutzen will).
Hoffe, der Roman hilft jemandem
Kurzfassung:
Touch lenkt auch objektiv im direkten Vergleich mehr ab, als physische Bedienelemente. Meine Empfehlung daher: Kombination beider und starke Individualisierung je nach Nutzer durch mitlernende oder einstellbare Interfaceelemente.