Räder-/Reifenauslegung und Richtlinien (ETRTO)

  • Da @Chipmonk77 in einem gewerblichen Thread zurecht darauf hingewiesen hat, das dort keine technische Themen diskutiert werden sollen, möchte ich das Thema von dort und aus einem anderen Thread hier noch einmal aufgreifen.


    Für alle Anbieter von Rädern und Reifen gibt es eine technisches Handbuch, wie diese ausgelegt werden sollen. Dieses Handbuch wird vom Verband der Räder- und Reifenhersteller erstellt und jährlich überarbeitet. Es heißt ETRTO Standards Manual (nach dem Verband European Tyre and Rim Technical Organisation). Es gilt für alle Anbieter, also OEM und auch für Hersteller von Zubehör, also Aftermarket-Anbieter.
    Diese Unterlage definiert auf dem Gebiet den sogenannten Stand der Technik (https://de.m.wikipedia.org/wiki/Stand_der_Technik), also die neuesten Erkenntnisse auf diesem Technikgebiet.
    Sie ist nicht verbindlich, sondern eine Design-Empfehlung, aber man sollte schon sehr gute Gründe haben, um sich darüber, bzw. den Stand der Technik, hinweg zu setzen. Im Falle von technischen Problemen wird sich nämlich in der Regel bei Rechtsstreitigkeiten und Gutachten immer auf den aktuellen Stand der Technik bezogen.


    Das folgende überführe ich aus diesem Thread (16" Reifen und Räder - Die optimale MX-5 Dimension?), weil es sehr gut zum Thema passt:
    Die ETRTO führt für alle Reifen-Dimension eine Rubrik namens "Tyre Dimensions". Da sind die folgenden Werte geführt:
    Design
    - Section Width (breiteste Stelle des Reifens, also Seitenwand zu Seitenwand)
    - Overall Diameter (Durchmesser)
    Maximum in Service
    - Overall Width
    - Overall Diameter


    Die "Maximum in Service" gelten für die maximalen Maße im Betrieb, d.h. in der Regel bei Höchstgeschwindigkeit unter maximalen Fliehkräften und maximalem Druck. Die verwendet man z.B. in der Auslegung von Radräumen für den Radfreigang.


    Hier mal exemplarisch die Zahlen für unseren MX-5 (in mm):


    195/50 R16
    Design
    - Section Width - 201
    - Overall Diameter - 602
    Maximum in Service
    - Overall Width - 209
    - Overall Diameter - 610


    205/45 R17
    Design
    - Section Width - 206
    - Overall Diameter - 616
    Maximum in Service
    - Overall Width - 214
    - Overall Diameter - 624


    Darüber hinaus führt die ETRTO noch die folgenden Werte:
    - Load Index (Standard und Reinforced)
    - Measuring Rim (Messradgröße für die Geometriemessung)
    - Load Capacity (Standard und Reinforced)
    - Inflation Pressure (Standard und Reinforced)


    Zusätzlich gibt es noch Tabellen zur
    - Berechnung des Fülldrucks
    - Berechnung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit
    - Ermittlung der zulässigen Felgendimensionen
    - ...


    Alle technischen Werksangaben zum Thema Räder/Reifen für Fahrzeuge werden aus der ETRTO abgeleitet und Werte zu Tragfähigkeit und Höchstgeschwindigkeit, sowie der Mindestfülldruckberechnung haben tatsächlich auch eher bindenden Charakter. Ich kenne jedenfalls keinen Anbeiter von Fahrzeugen, der sich darüber hinweg setzt und keinen Gutachter einer Prüforganisation, der sich darüber hinweg setzen würde.
    Ausnahmen sind ausdrücklich erlaubt und zwar in direkter Abstimmung zwischen dem Fahrzeuganbieter und den Räder-/Reifenherstellern. Diese müssen dann aber in der Regel auch entsprechend für den Kunden dokumentiert werden, damit sie nachvollziehbar sind.
    Reifen mit der Bezeichnung „ZR“ sind so ein Thema. „ZR“, ohne weitere Kennung definiert keine bestimmte Höchstgeschwindigkeit, sondern für dieses Kennzeichen kann im Bereich oberhalb von „Y“, also oberhalb von 300 km/h eine individuelle Höchstgeschwindigkeit zwischen Fahrzeug- und Reifenhersteller vereinbart werden. So sind z.B. die Reifen für Bugatti mit einer Höchstgeschwindigkeit von über 400 km/h entstanden.


    In einem anderen Thread hatten wir die Diskussion welche Reifengrößen auf einer 8“ Felge gefahren werden dürfen und sollten. Die ETRTO sieht diese Felgendimension erst für Reifenbreiten ab 215 vor.
    Das ist tatsächlich nicht bindend und ein Prüfer kann sich entscheiden, dennoch eine andere Kombination einzutragen, z.B. 205er, oder sogar 195er.
    Auf der anderen Seite empfiehlt die ETRTO nur gewisse Kombinationen zu verwenden, da sich ansonsten (ggf. auch große) technische Probleme ergeben können. Das hat u.a. mit der übertragbaren Brems- und Seitenkraft zu tun, aber mitunter auch mit Themen, über die man sich ansonsten gar keine Gedanken macht, wie den Wulstfestsitz.
    Letzteres ist ein wichtiges Thema und z.B. bei der genannten 8“ Komination in Verbindung mit Reifenbreiten unter 215 ein wichtiger Faktor. Wenn die Felge zu breit bzw. der Reifen zu schmal ist, steigt die Gefahr signifikant an, dass der Wulst bei zu wenig Fülldruck und/oder hohen Seitenkräften abspringen kann, was dann natürlich schlagartig einen luftleeren Reifen zur Folge hat. In der genannten Kombination leidet auch die Übertragbarkeit von Querkräften, d.h. die Performance des Reifens wird schlechter.


    Ich persönlich würde solche nicht empfohlenen Kombinationen meiden und nicht auf mein Auto montieren. Einziger Vorteil ist die Optik, wenn man das denn so mag, aber dafür nimmt man ggf. Abstriche bei der Sicherheit und Performance in Kauf.


    Falls jemand weitergehende Fragen hat, oder z.B. die Verwendung extremer, nicht empfohlener Kombinationen, diskutieren möchte, dann könnten wir das hier tun ;) .

  • Wo Du Dir schon soviel Mühe gemacht hattest... honoriere ich das mit einer Frage zum Thema ;)8) :


    Wie wirken sich unterschiedliche Felgen-Maulweiten bei ansonsten gleich dimensionierten Reifen aus? Hat sowas Auswirkungen auf die üblichen Fahrwerks-Werte/Luftdrücke und muss man da ggf. noch nach justieren?
    Konkret geht es um folgenden Fall:


    Originale Felgengröße 6,5x16 ET45 ggü. 7x16 ET40 in Verbindung mit OEM-Bereifung 195/50 R16 LI84
    Reifendruck: VA 1,95bar / HA 2,05bar bei Reifen kalt, Umgebungstemperatur 20 C°
    767E09AE-AA7E-44F6-A45E-4D9F4AEAD0D3.jpeg5F87A871-06EB-4773-A8F2-54E074993234.jpeg
    Die Kombination ist mWn zwar noch innerhalb der ETRTO-Empfehlung, meistens wird die 7J natürlich mit den 205/50er Reifen gefahren. Mir geht es vor allem um die fahrdynamischen Aspekte, Übertragung der Seitenkräfte, Übergangsverhalten in den Grenzbereich, Latsch, etc.


    Ich bemerke eine Veränderung zwischen den Felgen, krieg’ das aber nicht richtig zu fassen... als Laie 8) Mit der Änderung der ET V/H und dazu ohne +18mm Spurverbreiterung hinten, kommt nun die neue Variable „Maulweite“ ins Spiel... und ich kann das nicht trennen :)


    “There's a point at 7,000 RPM... where everything fades. The machine becomes weightless. Just disappears. And all that's left is a body moving through space and time. 7,000 RPM. That's where you meet it. You feel it coming. It creeps up on you, close in your ear. Asks you a question. The only question that matters. Who are you?“ Carroll Shelby

    2 Mal editiert, zuletzt von Chipmonk77 ()

  • Ich habe die auch von @Jan@SPS auf seinem BRG gefahrene Kombi 205/50 R16 mit den Volk Racing Felgen in der Größe 8 x16 ET25.
    Das ist lt. ERTRO außerhalb der Norm.


    Bei Jan seinem BRG waren Toyo R888 drauf, die hatten eine ausgeprägte Ballonoptik, lt. Jan war er mit dieser Kombi
    auch auf dem Track ohne jegliche Probs unterwegs.


    Ich fahre den Federal RS-R, da ist die Ballonoptik nicht so ausgeprägt und finde auch nicht,
    dass der Reifen extrem gestreckt aussieht. Ich wollte eine "breite" Optik ohne Distanzen,
    daher die 8 Zoll, noch dazu passt meines Wissens die Felge sonst nicht über die Stoptec Bremse.


    Siehst du darin größere Probleme bzw. welche Auswirkungen auf das Fahrverhalten würdest du daraus ableiten ?


    Anbei diverse Fotos der Reifen/Felgenkombi zur Veranschaulichung.


    Persönlich bin ich mit dem jetzigen Fahrverhalten sehr zufrieden ( übliche SPS Street Abstimmung, HR Stabis vorne und hinten weich, 35 mm tiefer),
    das einzige was noch etwas auffällig ist, dass ich bei schnell gefahrenen langgezogenen Kurven und einem leichten Wegnehmen des Gaspedals ein leichtes
    Einnicken der Hinterachse auf dem kurvenäußeren Rad spüre. Ich weiß, ideal ist es, wenn man den MX5 am Gas hängend durch die Kurve fährt, gelingt mir
    (noch) nicht immer :)


    DSC01494.JPGDSC01495.JPGDSC01454.JPGDSC01456.JPGDSC01455.JPGDSC01466.JPG

  • Ich hatte dazu vor Jahren mal eine tolle US-Seite mit Bildern und technischer Erklärung entdeckt aber leider nicht gespeichert und finde sie jetzt auf die Schnelle nicht, sehr schade...


    Habe kurz versucht eins der Bilder zu rekonstruieren das die Auswirkung von zu schmalen Reifen bzw. zu breiten Felgen (starke Abweichung zur ETRTO) etwas zeigen soll (keine Garantie für Richtigkeit/Vollständigkeit):


    Reifen01.jpg
    Bilder habe ich hier entliehen: https://mattersoftesting.blog.…hed-tyres-an-mot-failure/
    Für Anregungen zur Verbesserung bin ich dankbar und übernehme diese gerne :)


    Der Effekt ist stark abhängig vom Reifenquerschnitt, habe ich einen 215/35-18 Reifen um bei ND Größen zu bleiben habe ich auf einer 7-8" Felge bereits einen mäßigen Komfort und eine verringerte Haftung gegenüber der Serienradgröße, packe ich gleichen Reifen auf eine 8,5-9" breite Felge reduziere ich Komfort/Haftung zusätzlich stark.
    Habe ich jetzt einen 195/50-16 auf einer 6,5" Felge um bei @Chipmonk77s Beispiel zu bleiben, bin ich vermutlich nahe am Optimum was Komfort und Haftung angeht, packe ich gleichen Reifen auf eine 7-7,5" Felge habe ich gleichen Effekt wie oben beschrieben nur stark abgeschwächt da ich ja immer noch eine sehr hohe Flanke habe die zumindest noch gut arbeiten kann.
    Vielleicht solltest du @Chipmonk77 einfach mal ein paar Tage ein paar 17 oder 18" Felgen mit niedriger ET und breiten Felgen fahren, danach bist du sicher super zufrieden mit deinen 195er auf der 7" Felge. Oft ist es nur der direkte zeitliche Vergleich, wie nach dem Wechsel von Winter- auf Sommerräder, nach 2 Wochen hat mann keinen direkten Vergleich mehr und ist glücklich.
    Oder habe ich dich falsch verstanden und die gefühlte Veränderung ist positiv!?

  • Wie wirken sich unterschiedliche Felgen-Maulweiten bei ansonsten gleich dimensionierten Reifen aus? Hat sowas Auswirkungen auf die üblichen Fahrwerks-Werte/Luftdrücke und muss man da ggf. noch nach justieren?


    Konkret geht es um folgenden Fall:


    Originale Felgengröße 6,5x16 ET45 ggü. 7x16 ET40 in Verbindung mit OEM-Bereifung 195/50 R16 LI84
    Reifendruck: VA 1,95bar / HA 2,05bar bei Reifen kalt, Umgebungstemperatur 20 C°
    Die Kombination ist mWn zwar noch innerhalb der ETRTO-Empfehlung, meistens wird die 7J natürlich mit den 205/50er Reifen gefahren. Mir geht es vor allem um die fahrdynamischen Aspekte, Übertragung der Seitenkräfte, Übergangsverhalten in den Grenzbereich, Latsch, etc.

    Für den 195/50 R16 empfiehlt die ETRTO die folgenden Maulweiten - 5,5, 6,0, 6,5, 7,0. D.h. erstmal sind beide von Dir genannten Maulweiten voll im grünen Bereich und können gefahren werden. Optimal wären die beiden mittleren Dimensionen 6,0 und 6,5.
    D.h. Du wirst ggf. schon minimal an Performance verlieren, aber das ist nahezu vernachlässigbar. Ein Reifen der zu stark gespannt ist, kann nicht mehr so gut arbeiten, d.h. Latsch und Seitenwand sind dann zu starr. Physikalische Effekte wären ggf. ein direkteres Anlenken und etwas direkteres Fahrverhalten gepaart mit einem niedrigeren, aber schmaleren Grenzbereich.
    Aber wie geschrieben sind die 7,0 für den genannten Reifen noch voll in Ordnung und man kann das problemlos fahren.

    Ob so eine leichte Abweichung, knapp neben den empfohlenen Werten der ETRTO (7,5 wäre noch zulässig) noch funktioniert, oder nicht hängt stark vom Reifen ab. Du wirst auf jeden Fall schon eher deutlich die oben genannten Effekte haben, mit Performance-Verlust und eher schmalem Grenzbereich.
    Wenn man den Reifen zu stark spannt, kommt irgendwann auch noch die Gefahr dazu, dass er aus dem Felgenbett gezogen wird und abspringt, insbesondere wenn der Reifen sehr viel Grip hat wie ein UHP. Das Risiko schätze ich bei Deiner Kombi als relativ gering ein, aber nennen wollte ich es dennoch.
    Optisch sieht das für mich auch noch o.k. aus, aber um das wirklich zu beurteilen, müsste man das Auto mal fahren.


    Die Engstelle zur Bremse kann man natürlich mit einer angepassten ET und einer 7,0er, oder 7,5er Felge eleganter lösen. Dafür braucht man nicht zwingend die 8 Zoll.


    Das Einknicken der Hinterachse ist jetzt auch etwas schwierig zu analysieren. Ist das eventuell einfach nur eine normale Lastwechselreaktion, oder passiert da mehr? Ich würde da erst einmal eine etwas steifere Fahrwerkseinstellung für die Hinterachse ausprobieren und die Einstellung der Dämpfer hat ggf. auch Einfluss.

    Habe ich jetzt einen 195/50-16 auf einer 6,5" Felge um bei @Chipmonk77s Beispiel zu bleiben, bin ich vermutlich nahe am Optimum was Komfort und Haftung angeht, packe ich gleichen Reifen auf eine 7-7,5" Felge habe ich gleichen Effekt wie oben beschrieben nur stark abgeschwächt da ich ja immer noch eine sehr hohe Flanke habe die zumindest noch gut arbeiten kann.

    Ja, genau richtig. Daher ist für den 50er Querschnitt auch ein großer Breitenbereich von 5,5 bis 7,0 Zoll zulässig. Je niedriger das Querschnittsverhältnis, umso schmaler ist der zulässige Bereich. Bei einem 40er Querschnitt ist dann nur noch 6,5 bis 7,0 Zoll zulässig und bei einem 30er Querschnitt ist dann z.T. nur noch eine einzige Maulweite zulässig.
    Daraus kann man auch ableiten, dass es umso weniger nachteilig ist, wenn die Maulweite nicht optimal passt, je höher das Querschnittsverhältnis ist, weil der Reifen, wie von @MaxEmil beschrieben, mit der hohen Flanke immer noch ganz gut arbeiten kann.